20 Jahre SRA, Die letzten zwanzig Jahre Punk/Hardcore in Österreich

1977 war ja ein kleines bisschen vor der Entstehungszeit unseres Archives. Aber anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens unseres Archivs sollen zumindest die letzten zwanzig Jahre der schnellen Gitarren und Schlagzeuge einem Blick unterzogen werden.

Cold World

Der Kurort

H-Street

Kobayashi

Social Genocide (Textblatt)

Vacunt

Maltschick's Molodoi

Antimaniax

J*A*N feat. U.d.S.S.R.

Anchors X Up

Dimitrij

Earth Stands Still

Ruidosa Inmundicia

Avalanche

1993 gab es zwar keinen so eindeutigen Umbruch im Punk/Hardcore wie in anderen Genres, aber als das Archiv anfing durchschritt das Genre eine eigenartige Pubertät, die aus heutiger Sicht ein wenig befremdlich wirkt. Komische Experimente mit Raps, starke Metalkante und ein Hang zum Alternative Rockigen erfasste die alten Musiker auf der Suche nach Weiterentwicklung.

Aus heutiger Sicht erwähnenswert sind eigentlich nur zwei Namen so richtig: Die metallischen Lokalhelden Der Kurort aus Bad Ischl und die von u.a. Erwin Nimmervoll, Dierk Rossiwall und Peter Zinner von Extrem gegründeten Thrash-Berserker Cold World.
Knapp vor dem Zeitrahmen, in dem unser Fokus liegt erschien die erste (und bislang einzige) LP von Cold World, die auf dem Cover bereits alles klar machte. „No Fugazi Shit – This is raw highspeed hardcore“ stand auf dem Sticker und daneben posierten die drei Musiker mit Baseballschlägern und Unterhemden. Die Musik hielt, was das Cover versprach und bot energiegeladenes Geknüppel a la Siege, Crossed Out oder Infest. Als eine der wenigen Bands, die sich mit straightem Hardcore den Trends der Zeit widersetzte, kamen Cold World bald in den Fokus nichtösterreichischer Labels, wodurch die auf das Album folgenden EPs beim amerikanischen Label Sound Pollution erschienen.
Der Kurort wählten einen anderen Weg, indem sie ihre Texte rein im oberösterreichischen Dialekt beließen und ihre Tourwege hauptsächlich inländisch bestritten, wodurch sie eine Zeit lang für viele wohl die erste Berührung mit österreichischer Musik überhaupt waren. Aus heutiger Sicht ist ihr metallischer Hardcore jedoch nicht wirklich gut gealtert.

Ähnliches muss man auch zu einer anderen klassischen Punk-LP aus dem Jahr 1994 sagen, erwähnt gehört "Medeia Peri Medeia" von Kulta Dimentia natürlich trotzdem. Die LP ist politischer Punk/Hardcore und riecht beim Anhören schon nach verklebten Bierresten am Boden und heftigem Zigaretten- und Grasschwaden in der Luft. Zwischen Nabelschau der eigenen Gefühlswelt und politischen Statements (gerne auch beides im selben Lied).

Anderen Klängen in der internationalen Szene folgend entstand aus dem Rheintal aber eines der absoluten Powerhouses des österreichischen Hardcores: Social Genocide, die aus knappen zwanzig Liedern fünf Releases herauspressten. Aber was für Stücke! Ranziger, räudiger Crust Punk ohne Atempause und trotz rudimentärer Englischkenntnisse („Every CD buyer finance wars!“, „Autonomn begin to throw stones“) knüppeln sich die Xiberger durch ihre Stücke. Am vollständigsten ist die Kassette "The Final Bomb" (auf dem damals noch ein klein wenig anders ausgerichteten Label Trost), aber jede EP ist es wert ausgegraben zu werden.

Ab 1996 und 1997 schwappten immer kompliziertere und chaotischere Spielarten des Hardcore über den großen Teich und Bands wie Konstrukt, Programm C, die St. Pöltner Kobayashi und die Badener Prohaska lieferten auf EPs ihre eigenen Entwürfe. Exemplarisch seien hier die zwei Compilations "Ist da wer?" und "...und keiner weint uns nach" und Konstrukts Abschieds-EP "In girum imus nocte et consumimur igni" herausgegriffen. Aber auch „normalen“ Hardcore gab es in dieser Zeit. Mit H-Street schaffte es die sicherlich bekanntesten Vertreter auf mehrere internationale Compilations und füllten regelmäßig Basement Shows... und das nicht nur hierzulande.

Aber natürlich gab es nicht nur Hardcore in diesen Jahren. Wie immer von den internationalen Strömungen mehr beeinflusst als von anderen österreichischen Bands schwammen langsam aber sicher Oi!, Deutschpunk, Ska-Einflüsse, Pop Punk und alle sonstigen Variationen fanden sich in den jungen Bands wieder. Das Linzer Label DSS Records versorgte halb Europa mit internationalem Oi!, u.a. auch Releases von Smelly Anchors, Vacunt, Wiens No. 1 und den Styrian Bootboys; Latti-Rec aus Wien versammelte Klassiker des österreichischen Punks auf einer Kassette (Wienpunk) und katalogisierte die Punkszene der Endneunziger auf zwei Kassetten (Insel der Seligen 1 und Insel der Seligen 2).

Mit dem größeren Erfolg von melodischen Bands wechselte ab den späten Neunzigern auch der generelle Sound von Punk drastisch. Bands wie Moronique in Wien und Disconnected in Vorarlberg schrieben Popnummern, während in Graz rund um Redlightsflash und die Antimaniax mit dem Conan City Bandkollektiv eine Zeit lang der bekannteste österreichische Punk-Entwurf entsprang (und später dann auch die Staggers) Eine Kärntner Achse gab es auch, rund um die Punk n’ Roller Rotten Rooters, die poppigen Springy Pinestix, den Beat Brats und den Ska-Punkern Generation Gap. Eine Außenstelle in Niederösterreich gab es auch mit den Politpunks von J*A*N* feat. U.d.S.S.R. und das Label Masturbation Records.
Aber natürlich hatte auch der dreckigere Sound noch seine Proponenten. Rund um das EKH, Mohawk Distro, Teenage Riot und Riot-Tapes gab es ab 2000 mit Kurwa Aparata, Anti-Talenti und Maltschick’s Molodoi auch Anhänger des Kettensägen-Gitarrensounds. Auch wenn es bei den Maltschicks bis 2004 dauern sollte, bis sie ihr erstes Album releasten. Ebenso dieser Szene zugehörig waren die vielgefeierten aber leider recht kurzlebigen Hynkels. International rezipiert werden die aus diesen Szenen hervorgegangenen Ruidosa Inmundicia.

Eine mehr dem Hardcore zugetane Szene bildete sich ab 2002 in der Pfarre Penzing mit Proponenten wie Challenge und Fraternity – die zu Beginn rein dem Youth Crew Hardcore fröhnten. Als Keimzelle des Wiener Hardcores der 00er Jahre ist Penzing aber nicht zu unterschätzen. Mit Einwanderung aus anderen Bundesländern (hauptsächlich Oberösterreich und Steiermark) und verwandten Szenen (sowie alten H-Street-Mitgliedern) entstand die vielleicht fruchtbarste Hardcore-Szene Wiens mit Bands wie den melodischeren Nothing Gold Can Stay, den energetischen Straight Edgern von Anchors X Up, den tougheren Feeding Time und den eher moderner angehauchten Worlds Between Us. Parallel dazu und personell gerne verbunden war die Außenstelle im burgenländischen Seewinkel mit deren Aushängeschild Determination.

Noch tougher durfte es ab 2004 in der Oststeiermark rund um Burning Season Records werden. Während Bands wie Bleeding Horizon und True Illusion dem Metalcore fröhnten, werkten Earth Stands Still, Drowning In November sowie die Wiener Towards Judgement am Eingehirnzellenmosh. Nicht weit weg davon entfernt war die alte „Conan City“ noch politischer geworden und brachte mit The Plague Mass rastlos tourende Crust/Metalcore-Vermischer auf die Welt, die sich über lange Jahre als Aushängeschild positionieren konnten.

Nicht tough, aber auch mit einem hohen Energielevel gesegnet waren die Bands, die sich dem Mitte/Ende der 00er immer mehr auftauchendem „Screamo“ verschrieben. Die ersten waren wohl die Burgenländer The Vellocet Effect (auch noch beeinflusst von Programm C und Kobayashi) sowie die Niederösterreicher Dimitrij, aus denen später die Sex Jams und die Pilots wachsen sollten (was aber hier ein wenig offtopic wäre). Auch der Seewinkel ist mit Quotations of Rain hier vertreten gewesen, ebenso diverse Bands aus Oberösterreich – wie die später eher dem Noiserock zugewandten Men Killing Men. Mit der Szene im Osten kaum verbunden, aber international gesehen sicher die wichtigsten Vertreter aus Österreich sind die immer noch bestehenden I Not Dance aus Bregenz.

Im Jahr 2013 haben sich all diese Szenen letztlich immer stärker vermischt. Die Linzer Withers (entsprungen aus der Screamo-Szene) und die Wiener Avalanche veröffentlichen mittlerweile beim deutschen Label Per Koro, die Grazer Boredom und Catholic Guilt (aus dem Plague Mass Umfeld) sowie die bereits erwähnten Ruidosa Inmundicia bieten ihre eigenen Versionen von Punk/HC und die am Anfang des Artikels erwähnten Cold World sind mittlerweile auch wieder aktiv. Und somit schließt sich der Kreis.