Dämmerattacke

»Tausend Seen«­
article_7028_daemmerattacke_180.jpg

Dämmerattacke

»Tausend Seen« - Cien Fuegos//Trost

Text: Al Bird Sputnik | 13.05.2013

Wien, 1982: Das 6-köpfige Dada-Kollektiv Dämmerattacke aus Wiener Neustadt hat einen Aufnahmetermin im Wiener Tonstudio Reinhard. Die Formation, die sich selber stets als reines Live-Ding versteht, engagiert den Monoton-Macher Konrad Becker als Produzent. Das angestrebte Ziel, den Wahnsinn zwischen blankem Schülerband-Amateurismus und juveniler, S.Y.P.H.-geschwängerter Dilettanten-Genialität in den Griff zu bekommen und letztlich in die Konserve zu locken, trägt Früchte. Über Vermittlung des Boutiquen-Besitzers und Label-Betreibers Ronald Fleischmann landen die Tapes auf dem Schreibtisch des österreichischen Ariola-Chefs. Die LP »Tausend Seen« erscheint. Herausgeber ist das Wiener DIY-Label Panza-Platte, das gemeinsame Projekt von Fleischmann und Martin Biro (alias Panza), einem jungen Wiener Punk, der sich als Herausgeber von Fanzines wie »Boredom« und »Totes Wien« in der Szene einen Namen gemacht hat. Die Ariola ist als offizieller Vertriebspartner mit an Bord und kümmert sich um die PR. So weit, so gut. Doch was geschieht als nächstes? Nun, in Analogie zum mehrheitlichen Œuvre österreichischer Punk-Veröffentlichungen der 1980er geschieht vornehmlich nichts. Die Platte findet zwar in kleinen Kreisen ihre begeisterten Anhänger, wird allerdings kaum mit medialer Aufmerksamkeit bedacht. »Tausend Seen« ist einfach viel zu verschroben, avantgardistisch und düster. Zu den 10 veröffentlichten Songs kann man zwar hervorragend tanzen, aber sich ebenso gut auch die Pulsadern aufschneiden. Viel zu riskant also für ausuferndes Ö3-Airplay. Die Band Dämmerattacke trägt es mit Fassung. Zwar ist ihnen hier ein unsterbliches Meisterwerk des deutschsprachigen Post Punk geglückt, aber selber versteht sich die Formation ja nach wie vor als reines Live-Ding. 1984 ist dann Schluss und die Bandmitglieder gehen ihre Wege. Wien, 2012: Nachdem die LP »Tausend Seen« zu einem logischen Kult-Objekt weltweit ansässiger Goth-, Minimal- und Punk-Platten-Sammler geworden ist, nimmt sich 30 Jahre später das Wiener Reissue-Label Cien Fuegos – bisher schon mit den Neuauflagen der Austro-Wave-Erzeugnisse »1000 Takte Tanz« (Chuzpe) und »Schwarze Energie« (Hotel Morphila Orchester) als Bewahrer heimischer 80er-Subkultur in Erscheinung getreten – wiederholt all jener an, die keine Lust haben, auf internationalen Tauschbörsen dreistellige Dollar-Beträge für österreichische Underground-Schallplatten abzudrücken. Das Artwork wurde 1:1 übernommen, die Nachpressung kommt auf dickerem Vinyl als das Original und der Promo-Text verspricht sogar eine »Remastered edition« – und das alles zum Preis einer Neuveröffentlichung. Eine Investition, die sich lohnt. Ein Dolm, der sich das entgehen lässt.


Text: Al Bird Sputnik | 13.05.2013