Depart:

Mountain Messenger
Empor zum Gipfeltreffen: die Urgewalt der Alpen trifft auf die des Trios [Depart]. Und man sehe, höre und staune: die Berge bewegen sich! U.a. in Richtung Stadtstrand!

Überraschungsfrei ist es nicht, das Zusammenleben mit Bergen. Besonders nicht zu Zeiten der EURO 2008, der Fußballeuropameisterschaft, bei der einem Spiel gehuldigt wird, das sich, jenseits aller Hügel und Huckel erst in der flachen Ebene entfaltet und für Berg- und Talfahrten denkbar ungeeignet ist.
Wie denkwürdig, dass in dieser Situation das Mitgastgeberland Schweiz, wie Österreich mit Bergen reich gesegnet, auf eine Demonstration der Gipfelmacht verzichtet und stattdessen den, so heißt es, „Brückenschlag“ zum Rest Europas sucht, indem Mineralverfestigungen in höchst aufgelockerter Weise als Sand dargeboten werden und die Schweiz sich zur Strandmacht umdeklariert. „Swiss Beach Vienna“ heißt es vom 1. Mai bis zum 29. Juni 2008, wenn die Schweiz, ganz wie eine See- und Strandmacht, in die Strandbar Herrmann am Donaukanal einlädt. Damit bei aller Sandlust die Alpenseligkeit nicht in Vergessenheit gerät, spielt am 23. Mai das österreichisch-schweizerische Trio Depart gemäß des aktuellen Albumtitels als „Mountain Messenger“ auf.
Was genau ist nun ihre Botschaft? Harry Sokal, österreichischer Saxofonist, erklärt das Album kurzerhand zur „Bergpredigt“. Der Schweizer Bassist Heiri Känzig ergänzt lachend: „Wir spielen gewissermaßen mit der Dreieinigkeit. Wir als Trio und die Alpenregion!“
Die Berge rufen also, und wer wissen will, was Depart als Botschaft der alpinen Erlebniswelt verstehen, sollte alten Volksweisheiten zuhören: „Die Schweizer lehren uns, wie man mit den Bergen leben, die Österreicher, wie man den Bergen das Schönste abgewinnen kann.“ Vom Vertrauen auf alte Weisheiten kann Depart mehr als ein Lied spielen. Bereits auf dem Vorgängeralbum „Reloaded“ griff das Trio auf traditionelle Lieder des Alpenraumes zurück. Känzig, für die Auswahl und die Neuarrangements zuständig, erklärt, warum: „Wenn eine Melodie einhundert Jahre überlebt, dann muss sie etwas haben, eine Kraft. Diese Kraft versuchen wir zu transportieren!“ Wie sie sich diese Lieder, etwa „Wenn min Schatz go fuetere goht“ erarbeitet haben? Waren sie ihnen bekannt oder mussten sie sie erlernen, das sind Fragen, auf die alle Mitglieder des Trio individuelle Antworten geben, die tief horchen lassen.
Sokal meint, die Lieder zu kennen und erwähnt allein die Schwierigkeiten, sie in zeitgemäße musikalische Formen zu bringen. Känzig wiederum, der Bewunderer melodiöser Kraft, gibt zu bedenken, dass es ihm geholfen habe, in New York geboren und erst später mit den Alpsounds in Kontakt gekommen zu sein: „Um neues musikalisches Terrain zu erkunden, kann zuviel Nähe mitunter schlecht sein. Deshalb war es für mich sicherlich von Vorteil, aus New York zu kommen und dann erst die Musik der Schweiz zu entdecken. Überhaupt, gibt es die Schweiz überhaupt? Es hieß einmal, ‚La suisse n’existe pas’, und das ist so falsch nicht. In Appenzell ist bekannt, was in Zürich unbekannt ist. Die Schweiz ist ein Sammelsurium von Sprachen und Mentalitäten! Musiker aus der französischen Schweiz kennt man in anderen Teilen des Landes nicht – und umgekehrt. Es ist wirklich schwer, den ‚Rösti-Graben’ zu überspringen.“ JoJo Mayer, trommelwütiger und redefreudiger Drummer des Trios, in der Schweiz geboren und in New York lebend, offenbart eine weitere Sicht: „Heiri geht sehr analytisch an die Musik heran. Ich kenne diese Folklore natürlich, ich bin in der Schulzeit mit ihr aufgewachsen, und die Schweizer Folklore hat schon eine gemeinsame Grundlage, das ist wie ein Alphabet. Und die folkloristische Syntax in der Schweiz ist recht hoch entwickelt! Sie kann man nicht mit dem Kopf verstehen, da muss man sich schon den Rucksack umschnallen und in die Berge gehen!“
Also, ab in die Berge? So oder so, man hört’s, bei Depart sind drei Individualisten am Werk, jeder für sich und alle drei zusammen ein Kraftwerk bildend, das sich in permanenter Interaktion selbst befeuert, egal ob mit neuadaptierten Volksliedern im Jazz-Gewand, Coverversionen von Motown-Hits wie Junior Walkers „I’m A Road Runner“ oder jazzgerechten Neukompositionen. Und wenn sie nicht schon geschrieben wäre, die Ästhetik des alpinen Seins, müsste sie für dieses Trio nicht erfunden werden? Liest sie sich nicht wie eine Hintergrunderklärung ihrer Musik?
Nur zur Erinnerung: So wie Depart erst gegründet werden musste, um sich hören zu lassen, so mussten auch die Alpen recht eigentlich erst „erfunden“ werden, um wahrgenommen zu werden. Vor ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert existierten die Berge nur als Arbeitsfeld, dem man besser entkam, als Heimstatt für Berggeister, denen man besser nicht begegnete. Oder als Wettererregungsfront, der man besser nicht erlag. Und als Hindernis für Wandel und Handel, das man besser umfuhr. Berge wären besser nicht gewesen, hätten sich davon machen sollen. Bekanntlich aber konnten sie nicht anders.
Erst durch die Städter des 19.Jahrhunderts wandelte sich der Blick auf das scheinbar stupid-hinderlich in der Landschaft herumliegende Steingetürm: ziemlich unbewegliche Materie geriet zum Austragungsort zumeist vertikaler humaner Beweglichkeit und psychohygienischer Erlebniskultur: Menschen stiegen und fuhren Berge rauf und runter und erfreuten sich, jenseits bäuerlicher Arbeit, an der Schönheit der Natur. So erfuhren die Berge in der Ästhetik eine Quasi-Erhöhung, und einige Verkünder des alpinen Glücks wie Luis Trenker gingen, lange vor 2002, dem internationalen Jahr der Berge, gar so weit, „Berge für jeden“ zu fordern. Denn dem wahren Bergfreund sei klar: „Ein Glück, dass es in unserer Zeit der Vermassung und Gleichmacherei, in der alles um uns technisiert, nivelliert und genormt wird, noch so etwas Ungleichartiges wie die Berge gibt.“ Schließlich sei jeder Berg anders, habe jeder hat etwas besonderes. „Jeder Berg ist eine Persönlichkeit“. Wie Menschen tragen Berge Namen, tragen, wie Menschen, Rätsel und Geschichten mit sich. Sie lassen sich in kein Schema bringen, und jeder Berg, den man besteigen will, fordert eine eigene, persönliche Leistung ab, die einem niemand abnehmen kann.
Wenn das die Botschaft der Berge ist, dann sind Depart ihre Überbringer. Individualistisch gesonnen, jeder ein Matterhirn und –horn, voller Geschichten und zugleich alle einig als Trio frontal wie eine Bergfront, stellen sie eine Herausforderung dar, die zu bestehen, wie jede Bergbesteigung, durchaus Lustgewinn verspricht. Besonders, wenn im Mai, beim Swiss-Beach Depart-Gig, der Blick über die in die Stadt gekommenen Berge urbanen Lebens schweift: Gebirge voller Glas-, Beton- und Stahlarchitekturen, allüberall. Sind das Glücksversprechungen? Wie sind sie einzulösen? Wer eine Antwort weiß, befolge den biblischen Ratschlag: „Gehe hin und verkünde es vom Berge!“
Harald Justin

Aktuelle CD
[Depart]
Mountain Messenger
ACT


Live
03.05.2008, Zürich, Moods
07.05.2008, München, Jazzclub Unterfahrt
23.05.2008, Wien, Strandbar Herrmann

Websites
www.actmusic.com
www.departjazz.com
www.harrysokal.com
www.myspace.com/heirikaenzig
www.jojomayer.com