Franz Hautzinger's Poet Congress

»Weltallende«­

Franz Hautzinger's Poet Congress

»Weltallende« - Loewenhertz

Text: Curt Cuisine | 12.06.2013

August Walla war einer der bekanntesten Art-Brut-Künstler und ist in gewisser Weise bis heute das Aushängeschild von Gugging. Der Kult rund um die »unverfälschte«, »ver-rückte«, »überbordende« Kunst von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen ist ja über die Jahre eindrucksvoll gewachsen, hat allerdings auch Kritik an der Institution Gugging hervorgebracht (die uns hier aber weniger interessiert). Es lebt in den Tiefen dieser Kunst der alte Kult von der eineiigen Zwillingsschaft zwischen Genie und Wahnsinn, in der Art Brut mit letzter Konsequenz umgesetzt: das Genie als Insasse einer Gedankenverwirranstalt, freiheitsberaubt und dennoch völlig frei im Geiste. A free form Schamanenkasperl. Kein Wunder, dass die Art Brut immer wieder auch andere Künstler anzog, sie inspirierte, sie herausforderte. Auch das ist nicht neu, ein Schweizer Bruder im Geiste und Vorgänger von August Walla war etwa Adolf Wölfli, der ebenfalls nicht nur Zeichnungen und Gemälde hinterließ, sondern ein Zettelwerk aus Aufzeichnungen verschiedenster Art, das unter anderem schon von Wolfgang Rihm, Georg Friedrich Haas, Karlheinz Essl oder Bernhard Gal vertont wurde. Mit »Weltallende« wird nun auch August Walla diese Ehre zuteil (Karlheinz Essl hat August Walla ebenfalls schon vertont, außerdem gibt es das stimmige »The Gugging Album« von Kava & Roedelius, mit einem Track für Walla, allerdings sind das keine Vertonungen). Das besondere an »Weltallende« ist zunächst, dass Franz Hautzinger’s Poet Congress eine absolut großartige Besetzung bietet (neben Hautzinger spielen Burkhard Stangl, Isabelle Duthoit, Manon-Liu Winter, Steve Gander und Christian Reiner). Dieses Ensemble ist für alle stilistischen Möglichkeiten im Rahmen der freien Improvisation offen und performt dementsprechend gedankenwirr, fluktuativ, überbordend, dann wieder fokussiert, verhalten, Zitate verschickend. Völlig frei, völlig verrückt also. Und das passt perfekt. Besonders gelungen ist dabei, dass Wallas Textes nicht nach Schema F interpretiert werden, sondern für jedes Stück eine eigene Tonlage und Performance gefunden wurde und das meist in mehreren Stimmen, sich überlagernd, sich sogar in mehrsprachiger Schizophrenie zusammenfindend. Wir hören ein expressiv brüllendes Chaos, manchmal vielleicht zu sehr im stereotypischen Wahnsinn verharrend, dann wieder flüsterndes, augenzwinkerndes Geschnatter. Zwischen Unfug und Tiefsinn, zwischen artifizieller Interpretation und punktgenauer Verkörperung. Man kann »Weltallende« für das nehmen, was es augenscheinlich sein will, als eine akustische Reise in den polystimmlichen Geistesbunker August Walla – und damit glücklich werden. Oder man nimmt es als expressiv-dadaistische Impro-Textur, als einen der seltenen geglückten Fälle, wo Text- und Klangabsurdität einander finden und sich aufs Beste ergänzen. So oder so ein gelungener Wahnsinn.


Text: Curt Cuisine | 12.06.2013