Visionäre oder nur gute Beobachter?

In letzter Zeit lese ich immer öfter von Visionären, die die Musikindustrie mit ihren Visionen retten wollen.

Da ist einmal Rick Rubin, der die Columbia mit "neuem" Blut versorgen soll. Rick ist zwar schon 44 Jahre alt, aber seine "neuen" Ideen werden von der Geschäftsführung ohne Widerspruch umgesetzt: sei es eine Mund-zu-Mund Propaganda Abteilung oder keine CD-Hüllen aus Plastik für jede Veröffentlichung.

Auch Rick ist darüber etwas überrascht, dass man seine Ideen so undiskutiert umsetzt, denn so eine große Plattenfirma ist "ein großes Schiff, das hier die Richtung ändern soll" (Süddeutsche Zeitung Nr. 255 / Seite 19).

Die wirkliche Rettung sieht er in einem weltweitem Abonnement-Modell, wo um 19,95 Dollar im Monat downgeloaded werden darf, soviel man will. Da geben es andere Visionäre wie David Geffen oder Gerd Leonhard schon wesentlich billiger: 5-6 Euro soll das unbegrenzte Downloaden kosten und damit Klagen gegen Tauschbörsen schlussendlich unnötig machen. Der Nächste ist Chris Anderson, dessen "Long Tail"-Begriff zum geflügelten Wort geworden ist. In seinem Buch beschreibt er, dass während im Jahr "2000 die fünf besten CD's 38 Millionen verkauften, brachten es die fünf Spitzenreiter 2005 nur noch insgesamt auf 19,7 Millionen." (Medianet)

Aber auch Anderson sieht das Internet als Lösung für die Misere in der Musikindustrie - nur etwas anders. Seine "Long-Tail"-Theorie besticht durch Einfachheit - "Kleinvieh macht auch Mist". So verkauft sich ein Titel auf Platz 55.000 bei Rhapsody 300 Mal im Monat und auf Platz 400.000 noch immer 20 Mal. Was also für den klassischen Fachhandel ein echter Ladenhüter wäre, ist im Internet noch immer verkaufbar. Seine Schlussfolgerung lautet, dass "unsere Kultur sich nicht mehr an einer relativ kleinen Anzahl von Hits orientiert (...) sondern (sie) bewegt sich auf eine Vielzahl von Nischen zu." (Medianet)

Klingt alles wunderbar, aber ich bin der Meinung, dass die hier angeführten Visionäre alle nur sehr gute Beobachter sind, die die Zeichen unserer Zeit zur richtigen Zeit richtig interpretieren. Seien wir doch einmal ehrlich: War nicht schon immer Mundpropaganda stärker als jede Werbung? Wurden denn nicht immer schon lieber Digi-Packs gekauft als Jewel-Cases? Und wissen wir nicht, dass die Buchclubs schon vor 20 Jahren besser verkauften als der Fachhandel? Aber das Internet? Es ist zu jung, um heute schon Rückschlüsse ziehen zu können - ist es nur eine neue Pein oder ist es doch unsere einzige Rettung? Deshalb sollten wir genau beobachten, was gut und schlecht im Netz funktioniert.

Das sollte sich auch unser Teamchef zu Herzen nehmen, denn seine Auswahl der Teamspieler beruht eher auf Kaffeesatzlesen als auf Beobachten. Da werden Spieler eingesetzt, die derzeit in einer Formkrise stecken, seit 1.September nicht mehr im Einsatz waren oder noch nie bei einem Spiel seines Verein beobachtet wurden! Wenn die Musikindustrie so agiert, wie unser Nationaltrainer, dann ist sie genauso schnell aus der Wirtschaft draussen, wie Österreich aus der EURO2008.

Aber vielleicht schlummern ja sowohl in der Musik als auch im österreichischen Fussball im tiefen Untergrund die wirklich großen Talente und es fehlen nur noch die richtigen Visionäre, die besser beobachten und damit zur rechtzeitigen Rettung beitragen. Die Hoffung stirbt zuletzt!